
Oswald Spengler zum 140. Geburtstag
Am 29. Mai 1880, heute vor 140 Jahren, wurde im beschaulichen Harz-Städtchen Blankenburg ein Mann geboren, der wie kaum ein anderer mit seinem Namen für die rechte Denkschule des 20. Jahrhunderts steht: Oswald Spengler – Mitbegründer der Konservativen Revolution.
Die Konservative Revolution bezeichnet ursprünglich einen Autorenkreis aus Denkern verschiedener Professionen von der Philosophie über die Volkswirtslehre bis hin zur Dichtkunst. Gemeinsam hatten sie das Bestreben, nicht nur im Sinne des herkömmlichen Konservatismus etwas Überkommenes zu bewahren. Sie gingen weit darüber hinaus: Das wahrhaft Bewahrenswerte muß erst wieder oder sogar gänzlich neu erschaffen werden. Damit begründeten die Autoren der Konservativen Revolution letztlich eine Lebenshaltung, die bis heute verbreitet ist und bis in die Gegenwart den Kerngedanken des patriotischen Lagers verkörpert.
Spengler bekanntestes Werk ist Der Untergang des Abendlandes, dessen erster Band erstmals im Jahre 1918 erschienen ist. (Als pdf im »Internet Archive« Band 1 und Band 2 zu finden.) In Band 2 »Welthistorische Perspektiven« (S. 579ff.) schreibt Spengler:
»Was ist Wahrheit? Für die Menge das, was man ständig liest und hört. Mag ein armer Tropf irgendwo sitzen und Gründe sammeln, um »die Wahrheit« festzustellen – es bleibt seine Wahrheit. Die andre, die öffentliche des Augenblicks, auf die es in der Tatsachenwelt der Wirkungen und Erfolge allein ankommt, ist heute ein Produkt der Presse. Was sie will, ist wahr. Ihre Befehlshaber erzeugen, verwandeln, vertauschen Wahrheiten. Drei Wochen Pressearbeit, und alle Welt hat die Wahrheit erkannt. Ihre Gründe sind so lange unwiderleglich, als Geld vorhanden ist, um sie ununterbrochen zu wiederholen. (…) Die Dynamik der Presse will dauernde Wirkungen. Sie muß die Geister dauernd unter Druck halten. Ihre Gründe sind widerlegt, sobald die größere Geldmacht sich bei den Gegengründen befindet und sie noch häufiger vor aller Ohren und Augen bringt. In demselben Augenblick dreht sich die Magnetnadel der öffentlichen Meinung nach dem stärkeren Pol. Jedermann überzeugt sich sofort von der neuen Wahrheit. Man ist plötzlich aus einem Irrtum erwacht.
Mit der politischen Presse hängt das Bedürfnis nach allgemeiner Schulbildung zusammen, das der Antike durchaus fehlt. Es ist ein ganz unbewußter Drang darin, die Massen als Objekte der Parteipolitik dem Machtmittel der Zeitung zuzuführen. Dem Idealisten der frühen Demokratie erschien das als Aufklärung ohne Hintergedanken, und heute noch gibt es hier und da Schwachköpfe, die sich am Gedanken der Preßfreiheit begeistern, aber gerade damit haben die kommenden Cäsaren der Weltpresse freie Bahn. Wer lesen gelernt hat, verfällt ihrer Macht, und aus der erträumten Selbstbestimmung wird die späte Demokratie zu einem radikalen Bestimmtwerden der Völker durch die Gewalten, denen das gedruckte Wort gehorcht.
Man bekämpft sich heute, indem man sich diese Waffe entreißt. In den naiven Anfängen der Zeitungsmacht wurde sie durch Zensurverbote geschädigt, mit denen die Vertreter der Tradition sich wehrten, und das Bürgertum schrie auf, die Freiheit des Geistes sei in Gefahr. Jetzt zieht die Menge ruhig ihres Wegs; sie hat diese Freiheit endgültig erobert, aber im Hintergrunde bekämpfen sich ungesehen die neuen Mächte, indem sie die Presse kaufen. Ohne daß der Leser es merkt, wechselt die Zeitung und damit er selbst den Gebieter. Das Geld triumphiert auch hier und zwingt die freien Geister in seinen Dienst. Kein Tierbändiger hat seine Meute besser in der Gewalt. Man läßt das Volk als Lesermasse los, und es stürmt durch die Straßen, wirft sich auf das bezeichnete Ziel, droht und schlägt Fenster ein. Ein Wink an den Pressestab und es wird still und geht nach Hause. Die Presse ist heute eine Armee mit sorgfältig organisierten Waffengattungen, mit Journalisten als Offizieren, Lesern als Soldaten. Aber es ist hier wie in jeder Armee: der Soldat gehorcht blind, und die Wechsel in Kriegsziel und Operationsplan vollziehen sich ohne seine Kenntnis. Der Leser weiß nicht: von dem, was man mit ihm vorhat, und soll es auch nicht, und er soll auch nicht wissen, welch eine Rolle er damit spielt. Eine furchtbarere Satire auf die Gedankenfreiheit gibt es nicht. Einst durfte man nicht wagen, frei zu denken; jetzt darf man es, aber man kann es nicht mehr. Man will nur noch denken, was man wollen soll, und eben das empfindet man als seine Freiheit.
Und die andere Seite dieser späten Freiheit: es ist jedem erlaubt zu sagen, was er will; aber es steht der Presse frei, davon Kenntnis zu nehmen oder nicht. Sie kann jede „Wahrheit« zum Tode verurteilen, indem sie ihre Vermittlung an die Welt nicht übernimmt, eine furchtbare Zensur des Schweigens, die um so allmächtiger ist, als die Sklavenmasse der Zeitungsleser ihr Vorhandensein gar nicht bemerkt. (…) An Stelle der Scheiterhaufen tritt das große Schweigen. Die Diktatur der Parteihäupter stützt sich auf die Diktatur der Presse. Man sucht durch das Geld Leserscharen und ganze Völker der feindlichen Hörigkeit zu entreißen und unter die eigne Gedankenzucht zu bringen. Hier erfahren sie nur noch, was sie wissen sollen, und ein höherer Wille gestaltet das Bild ihrer Welt. Man braucht nicht mehr, wie die Fürsten des Barock, die Untertanen zum Waffendienst zu verpflichten. Man peitscht ihre Geister auf, durch Artikel, Telegramme, Bilder—Northcliffe!—bis sie Waffen fordern und ihre Führer zu einem Kampfe zwingen, zu dem diese gezwungen sein wollten.
Das ist das Ende der Demokratie. (…)«
In den letzten hundert Jahren hat sich da leider kaum etwas geändert. Das Problem, das Spengler hier schildert, ist genau das, mit dem wir uns auch in der Gegenwart maßgeblich herumschlagen müssen.
Jedoch teile ich nicht Spenglers grundlegenden Pessimismus. Es ist kein Naturgesetz, daß unsere (deutsche) Kultur/Zivilisation zwangsläufig untergehen muss. Es ist entscheidend, ob wir noch den Willen aufbringen, sie gegen alle Widrigkeiten und Angriffe von Innen wie von Außen zu bewahren. Es kann immer noch gelingen, solange wir daran glauben.