Premiere ausgebuht — Vergrault die Staatsoperette ihr Dresdener Stammpublikum?
Das hat es in der Geschichte der Dresdner Staatsoperette noch nicht gegeben: Buh-Rufe in einer Premierenvorstellung. Wir (meine Fraktionskollegin Monika Marschner und ich) hatten uns auf einen schönen Abend mit Jacques Offenbachs „Banditen“ gefreut und wurden mehr als enttäuscht. Schon als gleich am Anfang einige Darstellerinnen auf offener Bühne skalpiert wurden (sie spielten dann bis zum Ende mit blutigen Kopfwunden), ließ das für den weiteren Abend nichts Gutes erwarten. Spiegelt sich die zunehmende Enthemmung und Akzeptanz von Gewalt in unserer Gesellschaft jetzt auch in der Kunst wider?
Nicht enden wollende sexuelle Anspielungen ließen die Aufführung ins Peinlich-Vulgäre abdriften. Wie viele Besucher im Gespräch bestätigten, war die eigentliche Handlung für sie kaum mehr erkennbar. Wer nicht vorher das Programmheft gelesen hatte, konnte dem bunten Treiben unter dem Motto „Kiffen, Sex und Saufen“ nicht folgen. Monika meinte zu mir, dass in all den Jahren, seit sie schon Operette geht, das Niveau von Intendant zu Intendant immer mehr gesunken ist.
Erwartungsgemäß fiel der Applaus des Publikums bereits zur Pause sehr mager aus. Etwa 60 Besucher verließen die Aufführung vorzeitig. Auch ein Tom Pauls in Boxershorts konnte nichts mehr retten. Am Ende wurde der magere Beifall von zahlreichen Buh-Rufen übertönt. Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn die Reaktion anders ausgefallen wäre.
Zur anschließenden Premierenfeier war dann auch nur halb so viel Publikum geblieben, wie gewöhnlich. Wir wollten natürlich unbedingt wissen, das die Verantwortlichen angesichts des Desasters zu sagen hatten. Intendantin Kathrin Kondaurow hatte offenbar eine völlig andere Vorstellung als wir und viele andere gesehen: Nach ihrer Intention sollte die Inszenierung „Relevanz im Heute“ erzeugen. Daher war nach ihrer Meinung „der Abend ganz wunderbar gelungen“. Wunderbar waren tatsächlich das Orchester und die sängerische bzw. tänzerische Leistung von Solisten, Chor und Ballett.
Aber ein hohes handwerkliches Niveau und ein viele Millionen teures, schönes und modern ausgestattetes Haus allein können den Saal auf Dauer nicht füllen. Und Relevanz hinsichtlich der heutigen politischen Situation besteht insofern, als dass Kulturschaffende und ihr Publikum an diesem Abend ebenso aneinander vorbeiredeten, wie die herrschende Polit-Clique und das deutsche Volk.
Das Programm einer mit hohen Zuschüssen aus Steuergeldern finanzierten Bühne muss auf die Bedürfnisse des Publikums Rücksicht nehmen. Kunst ist kein Selbstzweck, sondern soll Menschen begeistern, zum Nachdenken bringen, aber auch einfach nur unterhalten. Im Zuschauerraum dominierte wie so oft die Altersklasse 50+. Gerade hier waren Enttäuschung und auch Wut über den vermasselten Abend besonders groß.
Wie weit kann die Intendanz der Staatsoperette noch gehen, bis diese zahlungskräftigen Besucher vielleicht für immer wegbleiben? Es ist zu befürchten, dass das Methode hat und auch die letzten Bastionen bürgerlichen Lebens um jeden Preis geschliffen werden sollen. Unterschätzen wir nicht, dass die Operette auch eine soziale Funktionen für ihr Publikum hat. Gerade Ältere treffen dort Freunde, Bekannte und Gleichgesinnte und kommen so mal “vor die Tür”.
Wie oft tönte wohl das Wort “Kiffen!” über die Bühne? 20 Mal, 30 Mal? Es waren gefühlte 100 Mal! In der linksgrünen Dresdner Neustadt mag das ankommen, aber sicher nicht bei wohl situierten älteren Bildungsbürgern, die eine gesetzestreue und eher konservative Lebensführung bevorzugen. Sie können damit nichts anfangen und wenden sich daher ab: “Am Ende der Arbeitswoche wollen wir etwas Schönes erleben und unterhalten werden, aber nicht dauerprovoziert,” so der O‑Ton eines Besuchers. Das will ich als Schlusssatz so stehen lassen…